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Definition aus dem Wiki-Gute-Arbeit:
Keine genauere Erläuterung
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"Immer im Hinterkopf, die Situation für die Kolleginnen und Kollegen zu verbessern"

Betriebliches Gesundheitsmanagement bei den Stadtwerken

Beschäftigte: ca. 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; Initiator: der Betriebsrat
Eine alter(n)sgerechte Gestaltung der Arbeit meint nicht allein, dass dafür gesorgt wird, dass die Gesundheit der Beschäftigten vom Ausbildungsbeginn bis zum regulären Renteneintritt keinen Schaden durch die Arbeit nimmt. Über die Erfüllung gesetzlicher Vorgaben hinaus braucht es vielmehr eine betriebliche Gesundheitsförderung, die darauf zielt, dass gesundheitliche Einschränkungen und Probleme erst gar nicht entstehen (präventiv) und da, wo bereits „Verschleiß“ eingetreten ist, ausgleichend und wiederaufbauend zu wirken (korrektiv). Doch wie kann man so ein Betriebliches Gesundheitsmanagement entwickeln und durchführen? Wie lässt sich der Arbeitgeber vom Nutzen einer solchen betrieblichen Gesundheitsförderung überzeugen?

Steter Tropfen...

Einfach so ging das bei den Stadtwerken nicht: Den Arbeitgeber davon überzeugen, dass über das Bestehende hinaus noch mehr für die Gesundheit der Beschäftigten getan werden muss. Die Gefährdungsbeurteilungen der Arbeitsplätze werden seit Jahren durchgeführt. Und wenn daraus Maßnahmen nötig sind, wird dies auch getan. Was zusätzliche Betriebsbegehungen mit der Berufsgenossenschaft darüber hinaus an Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen, wird ebenfalls aufgegriffen und umgesetzt. Nach dem Übergang vom BAT (Bundesangestelltentarifvertrag) in den TV-V (Tarifvertrag für Versorgungsbetriebe) wurde eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen: Für private Zusatz- und Ergänzungsversicherungen zahlt der Arbeitgeber Mitarbeitern in der gesetzlichen Krankenversicherung einen monatlichen Zuschuss.

Da war die Argumentation für den Betriebsrat schon schwer. Dass ein Tochterunternehmen mehr Gesundheitsangebote für die Beschäftigten als "die Mutter" machte, war auch kein Zugpferd: Signifikant hohe Krankenstände wie dort gab und gibt es nicht. "Der Arbeitgeber sieht einfach den Vorteil nicht und aus Wohlgefälligkeit tut er es auch nicht."*1

Wie es trotzdem ging? Der Betriebsrat verfolgte seine Absicht konsequent weiter, "immer im Hinterkopf, die Situation für die Kolleginnen und Kollegen zu verbessern." Er besorgte sich externe Informationen: Zum Beispiel von Krankenkassen. Was möglich ist, was Sinn macht. Er informierte sich beim Tochterunternehmen: Welche Erfahrungen dort genau gemacht wurden. Wie man dort bei der Einführung vorgegangen war. Und er ließ nicht locker: Sich selbst zu informieren und am Thema zu arbeiten, bei den Beschäftigten dafür zu werben und den Arbeitgeber davon zu überzeugen. Zwei Jahre hat es insgesamt gedauert.

Von den Beschäftigten gab es immer nur Einzelhinweise, hier und da geäußerte Wünsche. Eine Mitarbeiter-Befragung wurde nicht durchgeführt. Auf der Betriebsversammlung ungefähr zur Halbzeit vom Beginn des Vorhabens bis nun zum Start des Betrieblichen Gesundheitsmanagements kam von den Beschäftigten fast nichts: "Die haben sich's angehört." Jetzt sieht das schon anders aus: Gesundheitsförderung ist ein Thema für alle und von allen geworden!

"Man muss dem Arbeitgeber immer wieder klar machen, dass er etwas von einem besseren gesundheitlichen Zustand der Mitarbeiter hat. Jetzt und auf lange Sicht." Sich um die Arbeitsplätze und ihre Gestaltung zu kümmern, auf der Basis von Gefährdungsbeurteilungen und darüber hinaus, das ist gut und wichtig. Aber es reicht nicht aus. Es muss noch Prävention dazu kommen. Die Beharrlichkeit des Betriebsrates hat sich ausgezahlt! Auch wenn die Krankenstände nicht sehr hoch waren und es keine Abteilung gab, die aus dem Rahmen gefallen ist. Wer da mal Spitzenreiter beim Krankenstand war, das wechselte, Problemabteilungen gab es nicht. "Der Vorstand wollte trotzdem niedrigere Fehlzeiten. Wenn ihr das wollt, haben wir gesagt, dann müsst ihr auch was dafür tun." Manchmal dauert es eben länger, bis man ein Vorhaben durchbekommt.

...höhlt den Stein

Jetzt gibt es ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM), zunächst vereinbart für ein Jahr. Für dieses BGM steht ein festgeschriebenes Budget zur Verfügung.

"Das ist wie überall: Es muss ein Organisator da sein, der die Fäden zieht. Und am Ball bleibt. In dem Fall war es der Betriebsrat. Und man muss etwas treffen, was bei den Leuten ankommt, wo sie sagen: Schön, wenn ich so ein Angebot kriege. Wenn beides zusammen trifft, dann ziehen alle mit."

Ein halbes Jahr vor dem Start hat sich ein Arbeitskreis BGM gegründet, bestehend aus Betriebsarzt, Sicherheitsingenieur, zwei Betriebsratsmitgliedern und zwei Vertretern aus der Personalabteilung. Auf diese Weise treffen sich alle wesentlichen Akteure regelmäßig, planen das konkrete Vorgehen, schauen auf die Zwischenergebnisse und denken über Verbesserungen nach.

Es sind Ansprechpartner benannt worden: Im Betriebsrat, in der Personalabteilung, in den verschiedenen Betriebsstandorten. Das war Absicht so: Die Beschäftigten sollen wissen, an wen sie sich wenden können und es sollten Personen sein, die vor Ort leicht erreichbar sind. Dies hilft nicht allein, um Werbung für das zu machen, was angeboten wird. Auch Ideen und Verbesserungsvorschläge werden bei diesen kurzen Wegen eher vorgebracht.

Bei allem wurde genau überlegt, was für die Förderung der Gesundheit der Beschäftigten besonders passen könnte. So wurden beispielsweise die anonymisierten Diagnose-Daten der Krankenkassen mit dem Bundesdurchschnitt bei den jeweiligen Erkrankungen abgeglichen und daraus abgeleitet, was als Angebote für die Mitarbeiter bei den Stadtwerken Sinn macht. "Die Gewerblichen haben es eher im Kreuz und mit den Gelenken, die Angestellten haben eher Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich." Die ca. 150 Arbeiter sind vor allem in der Instandhaltung und im Facility Management tätig. Ungefähr 100 der Angestellten arbeiten im kaufmännischen, die übrigen im technischen Bereich.

Während der Laufzeit des Betrieblichen Gesundheitsmanagements können die Beschäftigten (nicht jedoch ihre Angehörigen) an Folgendem kostenlos teilnehmen:
  • Training in einem Fitness-Studio
  • Besuch eines Sport-, im Sommer auch Freibades
  • Massage (ggf. inkl. Wärmebehandlung) und Physiotherapie in einem Reha-Zentrum
Für die jeweiligen Angebote wurden feste Vertragspartner gefunden.

Die Leistungen werden in der Freizeit in Anspruch genommen. Da es keine Kernarbeitszeit gibt, kann diese Zeit nach vorherigen Absprachen in der jeweiligen Abteilung durchaus während des Arbeitstages liegen - so nutzt auch ein Mitglied des Vorstands seine Mittagspause, um zur Physiotherapie zu gehen. "Zwei haben das aber missverstanden und nicht Pause gestochen. Da muss man gleich hinterher sein, sonst gefährdet das die ganze Sache."

Da schon vorher eine arbeitgeberfinanzierte Gruppenunfallversicherung für die Freizeit bestand, ist das Verlassen des Arbeitsplatzes für die Angebote vom Versicherungsschutz her kein Problem.

Die Leistungen werden rege in Anspruch genommen, von Frauen und Männern sowie Arbeitern und Angestellten gleichermaßen. Der Bedarf ist also ganz offensichtlich da.

Da viele Mitarbeiter aus dem weiteren Umland kommen, denkt der Arbeitskreis über eine Ausweitung des Angebots nach. "Viele wollen dann nach der Arbeit oder abends doch noch mal zum Training. Die, die weiter fahren müssen, machen das eher nicht. Die wären ja erst um 19.00, 20.00 Uhr zu Hause und sehen dann ihre Kinder nicht." Die gefundenen Anbieter sind überregional: Vielleicht ist es machbar, die Leistungen zu gleichen Konditionen auch im Umland anzubieten.

Neben diesen kontinuierlichen Leistungen wurden mittlerweile auch zwei Gesundheitstage durchgeführt. Ein Drittel hat daran teilgenommen die hohe Resonanz zeigt erneut, dass die Angebote des Betrieblichen Gesundheitsmanagements die Beschäftigen ansprechen.

Die Gesundheitstage liefen während der Arbeitszeit. "Es waren aber mehr Kaufmännische da. Die Gewerblichen, gerade die Monteure, die hatten schon ihre Einsatzplanung, das ging oft nicht mehr zu ändern. Nächstes Jahr werden wir darauf achten, dass die Arbeitsplanung an diesen Tagen um 14 Uhr endet. Dann können die besser teilnehmen."

Neben Infoständen und vielfältigen Aktionen gab es an den beiden Gesundheitstagen auch spezielle Untersuchungen wie z. B. die Messung der Stressbelastung des Herzens. Und Kurse wie etwa einen "Schnupperkurs Entspannung". Für solche Angebote war eine Voranmeldung nötig: Alles war ausgebucht.

Auch ein Vortrag zum Essen und Trinken im Beruf wurde angeboten und von den Beschäftigten mit großem Interesse besucht. Hier soll sich in Zukunft auch das Kantinenessen weiter verbessern. "Die Diskussion in der Belegschaft, die haben wir schon lange. So in den Siebzigern ging das los. Die einen wollten dann ihr Salätchen, die anderen haben gesagt, sie brauchen aber etwas Herzhaftes. Ein Salatbuffet haben wir ja nun schon lange. Dann muss man neben Abwechslung auch was finden, das herzhaft und gesund ist."

In die vielen neuen Aktionen und Kurse auf den Gesundheitstagen wurde Bewährtes eingebunden, etwa die Grippeschutzimpfung. Tatsächlich haben die Gesundheitstage sogar Bestehendes neu beworben: Die betriebseigene Sportvereinigung hat neuen Zulauf bekommen. "Da waren ein paar sogar überrascht, was wir alles machen und kommen nun mit den Kollegen mit."

Und der Arbeitgeber? "Der Vorstand hat auch engagiert teilgenommen. Vorher haben sie überraschend einen größeren Geldbetrag für die Tombola gespendet. Das zeigt schon was."

Wie es weitergeht

Auch innerhalb des Gremiums waren nicht immer alle einer Meinung. "Man muss da schon sehr aufpassen, dass man sich nicht auf 'Koppelgeschäfte' mit dem Arbeitgeber einlässt. Beim Tochterunternehmen gibt es z. B. eine Anwesenheitsprämie. So etwas wollten wir auf keinen Fall: Das benachteiligt die Kranken und führt dazu, dass die Leute auch dann zur Arbeit kommen, wenn sie eigentlich ins Bett gehören."

Bei den Stadtwerken wurden keine Bedingungen für das weitere Vorgehen festgelegt, etwa ein Zielwert für die Fehlzeiten nach einem Jahr Betriebliches Gesundheitsmanagement. "Im Moment gibt es keinen Pferdefuß." Die Nachfrage nach den Gesundheitsangeboten und die Teilnahme an den Gesundheitstagen, das wird allerdings genau dokumentiert – um eine Grundlage zu haben für die kommenden Verhandlungen mit dem Arbeitgeber.

"Wir wollen nach dem Jahr auf jeden Fall weiter machen. Die Beschäftigten stehen voll dahinter, es gibt viele positive Rückmeldungen. Da passiert noch viel mehr, die Stimmung im Betrieb ist besser geworden. Am Anfang haben sich mal zwei zum gemeinsamen Training getroffen. Dann haben sich weitere angeschlossen. Mittlerweile bilden sich Trainingsgruppen. Die motivieren sich gegenseitig zum Mitgehen. Das hat eine richtige Eigendynamik bekommen. Es gibt jetzt Rückmeldungen zu den weichen Faktoren, die man ja sonst so schwer greifen kann, so was wie 'Mitarbeiter-Zufriedenheit'."

Plus-Punkte für Gute Arbeit:

  • Der Betriebsrat hat sein Vorhaben, eine über die Gestaltung der Arbeitsplätze und Arbeitsorganisation hinausgehende Gesundheitsförderung für die Beschäftigten einzuführen, beharrlich verfolgt, bis ein geeigneter Zeitpunkt für die erfolgreiche Durchsetzung gekommen war.
  • Die systematische und fundierte Informationsbeschaffung und -auswertung fand schon im Vorfeld und kontinuierlich während der laufenden Angebote statt. Dabei wurden sowohl Fachexperten hinzugezogen als auch von anderen gelernt, die schon Vergleichbares umgesetzt hatten.
  • Ein sich regelmäßig treffender Kreis von Zuständigen achtet permanent auf die Zwischenergebnisse wie die Entwicklung und ist für Verbesserungen aktiv.
  • Die Beschäftigten kennen klar benannte Ansprechpartner vor Ort – egal ob für eine Nachfrage zu einem Angebot oder um eine eigene Idee einzubringen.
  • Die Angebote richten sich am Bedarf der Beschäftigten aus (hier neben Wünschen auch Ausrichtung an anonymisierten Diagnose-Daten).
  • In das neue Gesundheitsmanagement wurden bewährte, schon länger bestehende Angebote zur Gesundheitsförderung eingebunden. Die betriebsinterne Öffentlichkeitsarbeit für das Neue hat auch zu einer Neubelebung von bereits Bestehendem geführt.
  • Alle Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements ergänzen Beurteilung und Verbesserung von Arbeitsplätzen, -umgebung und Arbeitsorganisation. Wäre die Arbeit selbst schädigend, könnten dies auch gute Kurse und Trainingsangebote nicht ausgleichen.
  • Die Beschäftigten motivieren sich gegenseitig. Dieses Miteinander der Kollegen und Kolleginnen führt nicht nur zu mehr Engagement für Gesundheit und Sport, sondern hat auch das Betriebsklima verbessert.
*1Sämtliche Zitate aus dem Betrieb.
Schlagworte zu diesem Beitrag: Körperliche Anforderungen / Umgebungsbedingungen, Versorgung, Entsorgung, Gemeinden

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