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Eine Wandzeitungsbefragung setzt ungeahnte Kräfte frei
Eine Wandzeitungsbefragung zum Thema „Gute Arbeit“ im H&M Logistiklager in Großostheim räumte in dem Logistikbetrieb des schwedischen Textilriesen richtig auf. Das Interview mit dem Betriebsrat erzählt wie es dazu kam und was sich alles verändert hat.
In eurem Betrieb wurde eine Befragung der Beschäftigten mittels Wandzeitungen durchgeführt. Was waren die Hintergründe für diese Befragung?
Seit Bestehen des Betriebsrates in Großostheim versuchte Hennes & Mauritz (H&M) die Belegschaft gegen den BR aufzubringen, sowie Belegschaft und BR gegeneinander auszuspielen. So sollte eine Integration des BRs verhindert werden.
Sprachen wir die Probleme an, die die Mitarbeiter/-innen an uns herantrugen behauptete der Arbeitgeber wir würden diese Dinge erfinden. Das Handeln des BRs beschränkte sich größtenteils auf Aktionen des Arbeitgebers zu reagieren.
Die Befragung verdeutlichte sowohl den Beschäftigten als auch dem Arbeitgeber, dass wir die Interessen unserer Kollegen und Kolleginnen vertreten und in ihrem Auftrag handeln.
Darüber hinaus wollten wir durch die Beteiligung der Mitarbeiter „mehr Demokratie“ wagen und den Mitarbeiter/-innen die Möglichkeit geben, die Schmiede ihres eigenen Glücks zu sein.

Wie lief die Befragung ab?
Wir veranstalteten im Dezember 2007 eine Betriebsversammlung zu der wir Tatjana Fuchs einluden. Dem Arbeitgeber teilten wir
nicht mit, dass wir diese Befragung durchführen werden. Die Führungskräfte der Logistik (Call-Off-Manager und Personalchefin) nahmen an der Versammlung teil. Gleich zu Beginn der Betriebsversammlung losten wir die Mitarbeiter/-innen „abteilungsweise“ zu den Umfragebögen, die an den Wänden der Halle angebracht waren und nicht in dem Raum in dem die Betriebsversammlung statt fand. So konnten wir ausschließen, dass der Arbeitgeber versuchte die Befragung zu beeinflussen oder zu verhindern. Abteilungen mit ähnlichen Tätigkeiten fassten wir zusammen, sodass insgesamt drei Stationen entstanden, die jeweils von einem BR-Mitglied betreut wurden. Alle Teilnehmer/-innen der Betriebsversammlung nahmen an der Befragung teil, ca. 180 Beschäftigte (H&M- Beschäftigte und Leiharbeitnehmer/-innen).
Im Anschluss sprach Tatjana Fuchs über „Gute Arbeit im Handel“. Sie führte eine kurze Analyse der Befragung durch und nannte die Hauptbelastungsfelder. Um die Situation der Leiharbeitnehmer/-innen bei H&M zu bewerten, hatte Tatjana Fuchs einen Fragebogen entworfen. Diesen stellten wir auf der Versammlung vor. Insgesamt beteiligten ca. 20% der Leiharbeitnehmer/-innen an dieser Befragung. Zwar wirkten einige Leiharbeitnehmer/-innen etwas verunsichert, doch der größte Teil nahm mit Begeisterung und Spaß an der Befragung teil.

Was war das Ergebnis?
Obwohl in dem H&M- Lager unterschiedliche Abteilungen mit unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten arbeiten, zeigte die Befragung, dass in allen Arbeitsbereichen nahezu die gleichen Probleme und Belastungen auftraten. Allen voran ein zu geringes Einkommen und die Angst um den Arbeitsplatz. Aber auch die Arbeitsbedingungen im Betrieb (körperliche Arbeit, Lärm, Hitze, usw.) würden häufig als Belastung beschrieben.
Es zeigte sich auch, dass ein großer Teil der Belegschaft mehr Anerkennung durch unseren Chef forderte und bessere Qualifikationsmöglichkeiten.

Was geschah dann?
Wir schrieben einen offenen Brief an die Geschäftsführung, den über 100 Kolleginnen und Kollegen unterschrieben. In diesem Brief prangerten wir die schlechten Arbeitsbedingungen an und stellen Forderungen u.a. nach mehr Lohn, richtiger Eingruppierung, Sicherung der Arbeitsplätze und der Eingliederung der Leiharbeiternehmer/-innen.
Außerdem organisierten wir während der Tarifauseinandersetzung im Einzelhandel in unserem Betrieb knapp 60 zusammenhängende Streiktage und beteiligten uns an landesweiten Protestaktionen, u.a. in Stuttgart.
Auch die Leiharbeitnehmer/-innen beteiligten sich an diesen Aktionen. In einigen Fällen wurden von Arbeitnehmerüberlassungen Kündigungen und Abmahnungen angedroht und auch vollzogen. Andere zogen den Leiharbeitnehmer/-innen Stunden vom Arbeitskonto oder vom Urlaub ab. Daraufhin schrieben sowohl wir als BR, als auch ver.di die Arbeitnehmerüberlassungen an und wiesen auf die bestehenden Arbeitnehmerrechte hin. So erreichten wir, dass alle Kündigungen und Abmahnungen zurückgezogen wurden, die Zeiten wurden den Betroffenen gut geschrieben und manche Geschäftsführungen entschuldigten sich sogar für das Verhalten ihrer Personaldisponenten.

Haben die Befragung und die folgenden Aktionen etwas bewirkt?
Die Erfahrung selbst Einfluss nehmen zu können, hat die Persönlichkeit vieler Kolleginnen und Kollegen zum Positiven verändert. Sie wirken vor allem selbstbewusster und kritischer. Manche entwickelten eine Art „gesunden Ungehorsam“ gegenüber den Führungskräften, weil sie anfingen Dinge zu hinterfragen. Innerhalb der Belegschaft wuchs der Zusammenhalt, neue Gemeinschaften entstanden.
Mittlerweile werden wir größtenteils von der Belegschaft respektiert und akzeptiert. Dieser Rückhalt und die Ergebnisse der Wandzeitungsbefragung sorgen für eine bessere Verhandlungsposition gegenüber dem Arbeitgeber. So können wir sogar bei schwacher rechtlicher Ausgangssituation zusätzlichen Druck durch die Belegschaft erzeugen.
Außerdem haben unsere Aktionen dazu geführt, dass 80 Leiharbeitnehmer/-innen in feste Arbeitsverhältnisse übernommen wurden. Und wir haben unseren Teil dazu beigetragen, dass nach 15 Monaten Verhandlungsmarathon ein Tarifvertrag im Einzelhandel abgeschlossen wurde.

Hast Du Tipps und Anmerkungen für Betriebsräte, die eine Wandzeitungsbefragung durchführen möchten?
Es sollte darauf geachtet werden, dass die Wandzeitungsbefragung nicht der einzige Beitrag der Betriebsversammlung bleibt. Ansonsten könnte der Arbeitgeber ernste Zweifel an der Erforderlichkeit hegen. Jede „Station“ sollte von einem Helfer betreut werden, der den Beschäftigten die Vorgehensweise erklärt. Abteilungen mit ähnlichen Tätigkeiten können zusammen gefasst werden.
Es ist hilfreich und unterstützend, die Auswertung der Befragung durch einen Vertreter von ver.di vornehmen zu lassen. Dies hat den Vorteil, dass dieser die Zustände schärfer anprangern kann. Darüber hinaus wird so einer gewissen Betriebsblindheit vorgebeugt.


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Schlagworte zu diesem Beitrag: Gute Arbeit, Wandzeitung, Streik, H&M