"Am wichtigsten ist der Zuwachs an Vertrauen"

Analyse und Verbesserung der Arbeitssituation bei einem Zeitungsverlag

Beschäftigte: ca. 1.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; Initiator: Betriebsrat

Eine alter(n)sgerechte Gestaltung der Arbeit braucht zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit bis zum regulären Renteneintritt auch die Minimierung von Belastungen in der täglichen Arbeitssituation. Oftmals sind dies heute psychische Belastungen - und viele tun sich derzeit noch schwer damit, diese zu erfassen und abzubauen. Dies gilt erst recht, wenn das menschliche Miteinander betroffen ist: Führungsverhalten und Umgang miteinander im Team. Wie lässt sich die tägliche Arbeitssituation auch mit ihren psychischen Belastungen erkennen und verbessern? Wie kann vorgegangen werden, wenn in einer Abteilung Sand im Getriebe des Miteinander-Arbeitens ist?


Dicke Bretter zu bohren

"Wir hatten heulende Menschen hier sitzen."*1 Eine sehr schwierige Situation: Der Betriebsrat wusste aus vielen Gesprächen, dass die Lage in einer Abteilung - zugleich ein Teilbetrieb - extrem angespannt war. Immer aber wurde darum gebeten, das Ausgesprochene vertraulich zu behandeln, keine Namen zu nennen. "Da kriegst du eine Menge mit, manchmal auch, wenn du in der Kantine am Frühstückstisch sitzt. Und dann wirst du von den Kollegen zurückgepfiffen. Uns war klar, dass dringend etwas passieren muss, so verfahren, wie die Situation im Team war." Das schlechte Betriebsklima in dem Teilbetrieb wirkte sich auch negativ auf die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus. Doch ohne die Probleme und möglichen Ursachen konkret benennen zu können, war die Geschäftsleitung nicht davon zu überzeugen, dass Handlungsbedarf bestand. Außerdem war klar, dass es keine einfache Ad-hoc-Lösung geben konnte.

Es halfen die guten Kontakte zu einer Krankenversicherung. Mit deren Unterstützung wurde auch bereits ein Gesundheitstag durchgeführt. Diese Krankenversicherung bot im Rahmen ihrer Programme für betriebliche Gesundheitsförderung eine Analyse der Arbeitssituation an. Kein Ersatz für eine Gefährdungsbeurteilung nach Arbeitsschutzgesetz - deren Durchführung wurde vielmehr vorausgesetzt, was in dem Unternehmen auch der Fall war. "Die psychischen Belastungen werden allerdings vernachlässigt. Wir bemühen uns, dass auch sie erfasst werden. Diese Arbeitssituationsanalyse sehen wir als ersten Schritt in die richtige Richtung." Der Betriebsrat sah darin auch eine passende Herangehensweise für die Probleme in dem Teilbetrieb.

Die Mitarbeiter werden bei dieser Arbeitssituationsanalyse befragt nach dem Führungsverhalten, dem Gruppenklima, nach ihrer individuellen Tätigkeit (ob sie damit klarkommen oder überlastet sind), aber auch nach Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitsorganisation. Diese Gruppeninterviews werden ohne die Vorgesetzten geführt. Alles Besprochene bleibt streng anonym, die externe Gesprächsleitung (hier von der Krankenkasse) berichtet nach Ende der Interviews die Ergebnisse an den Arbeitgeber.

Gesundheit war, gerade auch durch die Aktivitäten des Betriebsrats, schon länger ein Thema im Unternehmen, durch einen Unfall im Produktionsbereich bestand außerdem eine erhöhte Sensibilität. Zudem war das Angebot der Krankenversicherung kostenlos. In Summe ließ sich der Arbeitgeber darauf ein, die Arbeitssituationsanalyse zu machen.

Ohne Vorbereitung lassen sich solche Befragungen der Mitarbeiter zu ihrer Arbeitssituation jedoch nicht durchführen: Nicht nur, dass ein solches Vorgehen gerade bei seiner erstmaligen Anwendung genau und für die Beschäftigten nachvollziehbar vorgestellt werden muss. Es ist auch nötig, sich über die internen Schritte im einzelnen klar zu sein, findet die Befragung doch in einem konkreten Betrieb mit seinen Eigenheiten statt. Es wurde eine Arbeitsgruppe "Gesundheit" gegründet, der neben Personalabteilung und Betriebsrat auch der Arbeitssicherheitsingenieur und der Arbeitsssicherheitsbeauftragte sowie zeitweilig der Betriebsarzt angehören. Diese Arbeitsgruppe setzte sich mit dem genauen Vorgehen auseinander. Die letztendliche Entscheidung zur Herangehensweise und damit zur Durchführung an sich wurde in der Arbeitsgruppe gefällt. Ohne den Vertreter des Arbeitgebers in der Gruppe hätte deren Aufbauarbeit allerdings wenig Sinn gemacht: "Nur diskutieren bringt nichts. Da muss jemand mit Entscheidungskompetenz dabei sein."

Die Arbeitsgruppe wählte drei Abteilungen für die Durchführung aus: "Zwei Abteilungen aus dem administrativen Bereich, wo wir wussten, dass keine großen Probleme bestehen. Hier wollten wir zunächst unsere internen Erfahrungen mit dem Verfahren machen. Und dann die Abteilung, also der Teilbetrieb, wo wir schon vorher wussten: Die Ergebnisse würden weh tun."

Wichtig war dann die umfassende Information der Beschäftigten vor der Durchführung: In einer Betriebsversammlung wurde allen vorgestellt, was beabsichtigt ist und wie eine solche Arbeitsplatzanalyse abläuft. Die drei ausgewählten Abteilungen wurden außerdem intensiv im Vorfeld informiert, "was Sache ist und wie es genau abläuft. Dass es völlig anonym ist und ausschließlich über den externen Anbieter läuft. Der Betriebsrat hat sich da viel Zeit dafür genommen. Auch für die Nachfragen. Und wir haben versucht, dafür zu werben. Wenn ihr wollt, dass sich was ändert, dann wäre es gut, wenn ihr mitmacht." Für die Beschäftigten war es sehr wichtig, dass keine Vorgesetzten bei den Interviews dabei waren und alles Geäußerte streng anonym bleibt. Diese gezielten Informationen der Beschäftigten und auch der Führungskräfte in den drei Abteilungen erfolgte doppelt: Sowohl über den Betriebsrat als auch den externen Anbieter, also die Krankenkasse. Nach der Zustimmung der Betroffenen ging es dann an die Interviews.

Ein laufender Prozess

Wie es dem Verfahren entspricht, gibt es keine Informationen über den Ablauf der Interviews selbst, wohl aber über die von dem Externen zusammengefassten Ergebnisse.

In den beiden administrativen Abteilungen ergab sich kein großer Handlungsbedarf. Doch auch dort waren Verbesserungen möglich: In den Arbeitsabläufen wurden Einzelheiten geändert und - obwohl die Gefährdungsbeurteilungen und Maßnahmen daraus durchgeführt werden - "ein bisschen am technischen Gerät", also der Arbeitsplatzgestaltung bzw. -ausstattung. "Auch auf den ersten Blick scheinbar nicht so Wichtiges: Bei einem wurde die Schrift am PC vergrößert." Doch selbst solche scheinbaren Kleinigkeiten haben dazu beigetragen, dass die jeweiligen Beschäftigten besser mit ihrer Arbeitssituation umgehen können und weniger belastet sind.

Das Ergebnis aus dem Teilbetrieb war niederschmetternd: "Es zeigte sich sehr klar, dass das Verhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeitern völlig zerrüttet war. Das war so heftig, dass sie was tun mussten oder den Laden hätten dichtmachen können." Eine nicht gesundheitsschädigende Arbeitsplatzgestaltung zielte hier eindeutig in den psychischen und sozialen Bereich.

Angesichts der eindeutigen Ergebnisse entschloss sich die Geschäftsführung dazu, durch eine externe Mediation für eine Verbesserung der Arbeitssituation zu sorgen, wofür sie auch die Kosten übernahm. Nachdem ein geeigneter Anbieter gefunden war, wurden insgesamt 5 Mediationssitzungen vereinbart. Vier davon sind mittlerweile in einem Zeitraum von 2 Monaten durchgeführt worden. Die fünfte wird mit zeitlichen Abstand statt finden: "Das ist Absicht: Es soll geschaut werden, ob die gefundenen Lösungen auch nachhaltig sind."

Natürlich ist auch die Mediation selbst ein streng geschützter, vertraulicher Vorgang. Was in den einzelnen Sitzungen passierte, hier nun im Gemeinsamen von Vorgesetztem und Mitarbeitern, ist nicht bekannt. Da die vier Mediationssitzungen nun aber schon einige Monate abgeschlossen sind, gibt es mehrere greifbare Ergebnisse.

"Das Arbeitsklima hat sich entscheidend verbessert. Am Wichtigsten ist der Zuwachs an Vertrauen. Die können jetzt wieder miteinander kommunizieren. Zuständigkeiten wurden besser beschrieben und abgegrenzt, Missverständnisse ausgeräumt. Jetzt gibt es Raum für Veränderungswünsche. Und so etwas wie Teamgeist - auch im konkreten Vorgehen: Jetzt finden regelmäßig Teamsitzungen statt, bei denen u. a. die gemeinsamen Ziele besprochen und vereinbart werden. Das muss in der Abteilung weiterlaufen, sonst macht eine Mediation keinen Sinn."

Ob bei den kleinen Veränderungen, die sich trotz Gefährdungsbeurteilung zeigten, oder der Lösung für die verfahrene Gruppensituation: Es gibt keinen Endpunkt, wo alles gut wäre. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Minimierung von Belastungen, das bleibt ein laufender Prozess.

Alle sind weiter gekommen

Die Befragung der Beschäftigten nach ihrer Arbeitssituation und dann die Bereitschaft des Arbeitgebers, aufgrund der Ergebnisse Maßnahmen zu ergreifen, hat für die Betroffenen viel gebracht. Belastungen wurden eindeutig reduziert, am deutlichsten ist das in der schwierigen Situation in dem Teilbetrieb gewesen. Ohne die Verbesserungen dort hätte es wohl keiner mehr lang ausgehalten, geschweige denn bis ins Alter.

"Das ist sehr deutlich geworden, wie wichtig für die psychische Belastung am Arbeitsplatz der Umgang miteinander ist. Die haben Einiges gelernt an Techniken und dafür auch Verabredungen getroffen: Wie man miteinander umgehen kann und will, wie mit Situationen und Arbeitsanforderungen. Das geht bis hin zur einzelnen Person: Etwa, dass es besser ist, etwas anzusprechen, als es in sich hineinzufressen."

Ohne eine solche Auseinandersetzung mit sich selbst kann sich auch die Teamsituation nicht verbessern. "Unterschiedliche Menschen tun sich unterschiedlich schwer damit, sich mal neben sich selbst zu stellen und anzuschauen." Das war auch ein wichtiger Veränderungsprozess für die Führungskraft. Die musste erkennen, dass das eigene Rollenbild hinderlich ist, lernte, sich nicht mehr nur als Problemlöser, sondern auch als Teil des Problems zu sehen.

"Wenn wir so eine Arbeitssituationsanaylse noch mal durchführen, werden wir darauf bestehen, dass die Führungskräfte noch besser vorbereitet werden." Dass sie selbst Betroffene sind und wie wichtig bis in die Feinheiten hinein ihr Verhalten ist.

Nachdem die Ergebnisse der Gruppeninterviews vorlagen, gab es in einer der Abteilungen eine Kippsituation. Es war nur eine beiläufige Frage der Führungskraft: Wie ein bestimmter Kritikpunkt in den Ergebnissen gemeint wäre. Da nicht beabsichtigt war herauszufinden, wer dies geäußert hatte, war es bei genauer Betrachtung eine zwar menschliche, aber unsinnige Frage. Der Mitarbeiter, der diese Kritik in den Interviews geäußert hatte, fühlte sich jedoch indirekt angesprochen. Beinahe wäre die unachtsame Frage nicht nur unsinnig, sondern absolut kontraproduktiv gewesen: "Es ist absolut wichtig, dass das Ganze anonym ist und bleibt. Es darf noch nicht einmal den Anschein erwecken, es könne anders sein. Sonst kannst du das Ganze vergessen: Die Leute steigen sofort aus." Glücklicherweise kam der Mitarbeiter zum Betriebsrat - es war viel Gesprächsarbeit nötig. Die aber auch nur greifen konnte, weil die Anonymität tatsächlich ernst gemeint war und die beiläufige Frage der Führungskraft tatsächlich eine Unachtsamkeit und keine versteckte Absicht.

Auch der Arbeitgeber hat in dem Prozess wichtige Erfahrungen gemacht. Ein ganzheitlicher Gesundheitsbegriff, auch auf psychische Belastungen und Führungsverhalten bezogen, ist jetzt Thema, unter anderem im Führungskreis. Die Arbeitsgruppe "Gesundheit" besteht weiterhin und bleibt aktiv. Derzeit gibt es Überlegungen des Arbeitgebers, das gesamte Unternehmen in ein umfassendes Verfahren einzubeziehen. Dies hätte nicht nur Auswirkungen auf eine verbesserte Arbeitssituation und Gesundheit der Beschäftigten: "Die haben auch gemerkt, dass das für sie wirtschaftliche Vorteile bringt. Gerade mit Blick auf unsere Altersstruktur und den demografischen Wandel: Wenn wir da umfassend etwas für die Gesundheit der Beschäftigten tun, wird das nach außen wirken, um zukünftig gute neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gewinnen zu können."

Plus-Punkte für Gute Arbeit:

*1 Sämtliche Zitate aus dem Betrieb.


Schlagworte zu diesem Beitrag: Betriebskultur, Emotionale Anforderungen, Führungsqualität, Kollegialität, Medien, Kunst, Industrie